Förderung von Artenvielfalt in Stadt und Land

In den kommenden sechs Jahren wird sich der Landkreis München intensiv der Förderung der Artenvielfalt widmen. Das vom Bundesumweltministerium geförderte Projekt „NaturVielfalt Leben im Landkreis München“ will dafür sensibilisieren, wie wichtig der Erhalt unserer Ökosysteme ist, und aufzeigen, mit welchen konkreten Maßnahmen die Artenvielfalt geschützt und gefördert werden kann. Ende November fand eine erste große Veranstaltung für die Rathausspitzen der kreisangehörigen Städte und Gemeinden und die kommunalen Umweltämter statt. Den Impulsvortrag hielt der LMU-Privatdozent für Biologie und Wildbienenexperte Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München.

Landrat Christoph Göbel freute sich zur Eröffnung der Veranstaltung über das große Interesse der Kommunen, die tagtäglich mit dem hohen Siedlungsdruck in der Region konfrontiert sind. Zwar sei schon heute bei allen Bauprojekten die untere Naturschutzbehörde einbezogen und auch viele Kommunen nehmen sich dem Thema Biodiversität verstärkt an. „Mit dem groß angelegten Förderprojekt soll jetzt ein Rahmen geschaffen und konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um die Kommunen, die Landwirtschaft, Bildungsträger und die breite Öffentlichkeit in ihren Bemühungen, die Artenvielfalt zu fördern, zu unterstützen“, so der Landrat. Es liege in unserem gemeinsamen Interesse, unsere Ökosysteme für künftige Generationen zu stabilisieren und lebendig zu halten.

Der Biologe Fleischmann bekräftigte das Ansinnen des Landrats in seinem Vortrag und gab spannende wie auch besorgniserregende Einblicke in die Situation der Artenvielfalt.

So sind in Bayern etwa ein Drittel der 545 Wildbienenarten auf der Roten Liste und bereits 400 Schmetterlingsarten seit dem Jahr 2000 verschwunden. „Wir stellen aber nicht nur einen Artenverlust, sondern viel schlimmer einen Verlust in der Insekten-Biomasse aller flugfähigen Insekten fest, nämlich einen Rückgang von 75 Prozent der Biomasse innerhalb von 27 Jahren“, so der Experte.
„Insekten sind aber die Nahrungsgrundlage für unzählige andere Tiergruppen wie z. B. Reptilien und Vögel. Das ist so, als wäre unser Kühlschrank nur noch zu einem Viertel gefüllt. Damit fällt es schwer, eine ganze Familie durchzubringen.”

Was sind die Gründe für dieses Insektensterben?

Genannt wurden vor allem der direkte Lebensraumverlust und Verluste durch unsachgemäße bzw. zu intensive Pflege von Grünflächen. Zu den Ursachen zählt unter anderem zu häufiges Mähen, da sich so hauptsächlich schnellwüchsige Gräser durchsetzen und blühende Pflanzen verdrängt werden. Genau diese Blühpflanzen stellen aber die Nahrungsgrundlage für die heimische Insektenwelt dar. Stirbt auf einer Fläche eine Pflanzenart aus, dann sterben auch daran angepasste Insektenarten dort aus, z. B. eine Schmetterlingsart, die speziell nur diese Pflanze als Futter für ihre Raupen benötigt. Das beeinträchtigt wiederum die Bestäubung weiterer Pflanzenarten, die dann ebenfalls seltener vorkommen. Das Aussterben vieler Arten ist dabei die Folge. „Es handelt sich um den Zusammenbruch eines riesigen Netzwerks“, verdeutlichte der Experte.

Auch Flächenversiegelungen und Neubaugebiete gefährden die Artenvielfalt immens. „Jahrzehntealte Wiesen sind die Urwälder Europas. Hier finden sich oft über 60 Pflanzen- und über 1.000 Insektenarten und Spinnentiere pro Quadratmeter. Eine artenreiche Wiese ist wie ein alter Wald, auch wenn man es ihr nicht ansieht: Es braucht viele Jahre, um solche artenreichen und stabilen Blüten-Bestände zu entwickeln. Alteingewachsene Blumenwiesen sind oft 50 Jahre oder älter“, so Fleischmann. Es sei daher der falsche Ansatz, artenreiche Wiesen zu überbauen und dafür zehn Kilometer weiter eine neue Wiese als Ausgleichsfläche anzulegen.

Auch einfache Maßnahmen tragen zum Erhalt der Artenvielfalt bei.

Der Wildbienenexperte beließ es aber nicht beim Aufzeigen der Fakten, die aus wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Artensterben führen. Er verdeutlichte auch, dass es einfache Mittel und Wege gibt, die biologische Artenvielfalt zu erhalten und zu fördern.

Beispielsweise ist eine maximal zweimalige Mahd pro Jahr und das Stehenlassen von Teilbereichen einer Wiese für das Überleben und Überwintern von vielen Pflanzen- und Insektenarten auf der Fläche bereits eine große Hilfe. Dieser Ansatz gilt mit gewissen Abstrichen auch für das Straßenbegleitgrün. Nicht asphaltierte Feldwege bezeichnete Fleischmann dazu als unheimlich wertvoll für die überwiegend bodenbrütenden Wildbienenarten, da sie hier viele offene Bodenstellen vorfinden. Etwa 75 Prozent der Wildbienen brüten in offenen Bodenstellen. Neu geschaffene Parkplatzflächen sollten wo immer möglich ebenfalls nicht versiegelt werden, da sie so Lebensraum für Wildbienen bieten können und damit gleichzeitig die Versickerung von Niederschlagswasser ermöglichen.

Auch das Potenzial von Gärten ist für den Erhalt der biologischen Vielfalt von immenser Bedeutung, da die gesamte Fläche der Kleingärten größer als alle Naturschutzgebiete zusammen ist. Das Fazit des Wildbienenexperten:
„Keiner kann alles tun, aber: Niemand kann nichts tun!“ Bezogen auf Bayern stellte Fleischmann fest: „Ein Drittel der Landesfläche müsste naturbelassen oder zumindest naturnah bewirtschaftet werden, damit genügend Raum für eine überlebensfähige biologische Vielfalt bleiben kann.“

Projekt „NaturVielfalt Leben im Landkreis München”

Die Erkenntnis des Artensterbens allein ist jedoch nicht genug. Konkretes Handeln ist gefragt, um die biologische Vielfalt (Biodiversität) auch für künftige Generationen zu erhalten. Der Landkreis München will dazu einen Beitrag leisten und hat das Projekt „NaturVielfalt Leben im Landkreis München“ initiiert, das seit Anfang 2023 bis Ende 2028 läuft. Gefördert wird es im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Im Rahmen des Projekts sollen möglichst viele Akteursgruppen einbezogen werden, um auf möglichst viel Fläche des Landkreises die biologische Vielfalt zu erhalten und zu fördern.

Die Kommunen als die Kenner der Situation vor Ort sind dabei unverzichtbare Projektpartner. Alle Städte und Gemeinden im Landkreis erhalten daher die Möglichkeit, einen speziell auf ihre Kommune zugeschnittenen Workshop mit dem Projekt-Team durchzuführen, um die Situation vor Ort in den Blick zu nehmen. Bereits vorhandene gute Flächen mit wertvoller Artenausstattung sollen weiter vernetzt werden, ungenutztes Potenzial erkannt, neue Mitgestaltende für weitere Fläche gefunden und lokale Akteurinnen und Akteure eingebunden werden.

03.01.2024.