Bürgerbrief: Die älteste Spielerfrau Pullachs

Seit über 70 Jahren lebt die gebürtige Niederbayerin hier bei uns im Isartal. Zu ihrem 100. Geburtstag habe ich der Wahl-Pullacherin persönlich gratuliert und besuchte sie an diesem ganz besonderen Tag in ihrem Haus. Die Bezeichnung „Spielerfrau“ hört Dorothea Kopp allerdings gar nicht gern, denn das, was man in der heutigen Zeit damit verbindet, war sie auf keinen Fall. Die Ehefrau des 2010 verstorbenen ehemaligen FC Bayern Verteidigers Karl Kopp ist eine sehr bodenständige und zurückhaltende Persönlichkeit, die den Rummel um sie herum heute gar nicht versteht.

„Ich will aber nicht in die Zeitung“ sagt mir das Geburtstagskind scherzhaft. Sie wollte dann doch, sonst stünde dieser Text hier nicht. Ihre Nichte, Gisela Gruber, die sie jede Woche aus Dachau besuchen kommt und ihr, außer um ein paar Besorgungen zu machen auch noch aus der Zeitung vorliest, bringt uns allen ein Gläschen Sekt. Wir stoßen gemeinsam auf die Jubilarin an und Dorothea Kopp erinnert sich:

„Sie haben mir vor fünf Jahren doch schon einmal gratuliert? Zu meinem 95. Geburtstag, oder? Da gings mir noch viel besser. Jetzt wollen die Augen leider nicht mehr so richtig. Und alles ist viel anstrengender. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mich das ärgert. Nicht mehr alles so tun zu können wie vorher. Aber wenn ich dann melancholisch werde, erinnert mich Elisabeth, die mich im Haushalt unterstützt, daran, dass ich ja schon 100 Jahre alt bin. 100 Jahre! Sie erinnert mich immer daran, dass ich immer noch alleine aufstehen, mich versorgen und täglich meine 15 Minuten Frühsport machen könne, ich bis dato noch fit im Kopf sei und auch sonst noch gut drauf wäre. Aber was das aller Wichtigste sei, meint Elisabeth, dass ich mir meinen Humor bewahrt hätte.“

Auf diese Erkenntnis hin stoßen wir noch einmal an. Doch dann will ich es genauer wissen: Wie sie denn ihren Fußballer kennengelernt und geheiratet hat.

Dritte Bürgermeisterin Cornelia Zechmeister (r.) und die Nichte des Geburtstagskinds, Gisela Gruber (l.), gratulieren Dorothea Kopp herzlich zum 100. Geburtstag.
Foto: Gemeinde Pullach

„Oh“, sagt sie. „Da muss ich weit ausholen und das würde etwas länger dauern und ich will Sie ja nicht aufhalten“. Ich beteuere, dass wir alle Zeit der Welt hätten und dann sprudelt es auch schon aus ihr heraus.

„Also, ich hatte bis Kriegsende als Funkerin gearbeitet. Zuletzt war ich mit fünf anderen Frauen in Potsdam postiert. Wir waren die einzigen Frauen in unserer Kompanie und das war für damalige Verhältnisse schon sehr ungewöhnlich und fortschrittlich. Denn normalerweise sollten alle Frauen an den Herd und für Nachwuchs sorgen. Aber ich war ungebunden, abenteuerlustig und wollte die Welt kennenlernen. Ich hatte damals mit viel Glück eine Ausbildung zur Funkerin machen können. Es war eine aufregende und teilweise auch sehr gefährliche Zeit. Jedenfalls bin ich nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 wieder zurück in das elterliche Anwesen in Niederbayern gezogen. Dort habe ich dann auch Karl kennengelernt. Er arbeitete damals als Erntehelfer auf einem Nachbarhof und wir beide waren auf derselben Hochzeit eingeladen. Es war der Sommer 1946 und weil es doch die erste große Feier nach Kriegsende war, hatten wir uns alle mächtig rausgeputzt. Und da sah ich diesen jungen attraktiven Mann auf dem Fahrrad daherkommen und ich war sofort verliebt. Sie müssen wissen, mein Karl war ein sehr attraktiver, sportlicher Mann.“ Sie steht auf, geht zu ihrem Regal und holt ein Buch heraus, auf dessen Cover ihr Mann im Sport-Trikot abgebildet ist und ich stimme ihr zu. „Ein Hingucker war er schon, Ihr Karl“, sage ich. Sie lächelt verschmitzt, setzt sich wieder in ihren gemütlichen Korbohrensessel und fährt mit ihrer spannenden Geschichte fort.

„Dass er Fußballer war, wusste ich da noch nicht. Auf jeden Fall haben wir sehr viel getanzt und uns gut amüsiert. Ich hätte nicht gedacht, ihn wiederzusehen. Doch wie es das Schicksal so will, haben wir uns dann am übernächsten Tag zufällig im Zug nach München getroffen. Er musste wieder zu seiner Mannschaft zurück und ich wollte dort Verwandte besuchen. Aus diesem Zufall wurde dann eine Verabredung. Aus einer Verabredung wurden mehrere und letztendlich haben wir dann zwei Jahre später geheiratet.“

„Was für eine romantische Geschichte“ sage ich. „Die Hochzeit war dann bestimmt genauso traumhaft“? Dorothea Kopp lacht und winkt vehement ab. „Die Hochzeit war eine einzige Katastrophe. Alles, was schiefgehen konnte, ging schief. Am Tag unserer Hochzeit, das war der 11. Mai 1948, war in München Generalstreik. Es fuhren weder Bus noch Bahn. Wir hatten mit Mühe und Not ein Taxi organisiert, das uns zum Standesamt in die Rupertstr. und später dann zur Kirche fahren würde. Auf der Hälfte der Strecke hatten wir einen Platten und mein zukünftiger Mann hat dann in seinem schönen Anzug den Reifen gewechselt. Mit etwas verschmiertem Anzug und reichlich Verspätung kamen wir dann endlich in der St. Ursula Kirche in Schwabing an. Doch da gab es ein neues Problem: Der Pfarrer war nicht aufzufinden. Also standen wir da wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Altar. Mein Karl in seinem verschmutzten Anzug und ich mit meinem weißen Spitzenkleid mit rosa Unterrock und einem Blumenkranz im Haar. Nach langem Hin und Her hat uns letztendlich dann der Kaplan getraut. Auch die Hochzeitsnacht verlief leider anders als geplant. Es gab ja keine Übernachtungsmöglichkeiten. Alles war zerbombt. So mussten wir mit unseren Trauzeugen kurzerhand das Bett teilen. Wir lagen also zu sechst im „Ehebett“. Herrschaftszeiten, war das eine Hochzeit. Trotz alledem war es einer der schönsten Tage meines Lebens, den ich nie vergessen werde.“

Nach einer kurzen Denkpause trinken wir auch noch das letzte Schlückchen Sekt und erst jetzt bemerke ich, dass wir schon fast zwei Stunden zusammensitzen. „Liebe Frau Kopp“ sage ich „das war so eine schöne Geschichte und ich könnte Ihnen noch stundenlang zuhören, aber das heben wir uns für das nächste Mal auf. Denn, ob Sie wollen oder nicht, ich stehe zum 101. Geburtstag wieder mit einem Präsentkorb vor Ihrer Tür.“ Wir lachen, verabschieden uns herzlich und ich gehe mit einem wohlig-warmen Gefühl nach Hause, denn es ist erstaunlich, was diese Frau alles zu erzählen hat. Ich bin jetzt schon gespannt, welche spannenden Lebensgeschichten ich nächstes Jahr von dieser so interessanten und lebenslustigen Frau zu hören bekomme werde.

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Cornelia Zechmeister
Dritte Bürgermeisterin

27.02.2023