An Pullach geht der demographische Wandel, die zunehmende Alterung der Bevölkerung, nicht spurlos vorbei, sondern ist vielmehr besonders ausgeprägt. Fast jeder Vierte ist bereits 65 Jahre alt und älter. Glaubt man den aktuellen Bevölkerungsprognosen, wird diese Altersgruppe weiter anwachsen. Im landkreisweiten Vergleich ist Pullach die drittälteste Gemeinde, nur in Grünwald und Taufkirchen leben prozentual mehr 65-Jährige und älter.
Im Vergleich dazu: in der „jüngsten“ Gemeinde Feldkirchen gehört lediglich jeder Siebte dieser Altersgruppe an. Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass knapp neun Prozent aller 65-Jährigen und älter bereits an einer Form von Demenz erkrankt sind – mehrheitlich Frauen. Auf Pullach gerechnet wäre dies bereits jetzt über 200 Personen – Tendenz steigend.
Daten der Gemeinde zum 14. September 2016
Viele Angebote für Seniorinnen und Senioren – aber nur wenige im Bereich Demenz
Für Seniorinnen und Senioren unterschiedlichen Alters, Gesundheitszustandes und Wohnumfelds stehen in Pullach breitgefächerte Angebote zur Verfügung. Diese reichen von regelmäßigen Seniorentreffs bis hin zu Sport- und Bildungsangeboten, die sehr gut angenommen werden. Ist Unterstützung im Alltag notwendig, um möglichst lang zu Hause bleiben zu können, kann auf ein breites Spektrum an Hilfsmöglichkeiten wie z.B. ambulante Dienste, die Nachbarschaftshilfe oder Essen auf Rädern zurückgegriffen werden.
Die örtlichen Pflegeheime bieten Versorgung, wenn erhöhter Betreuungs- und Pflegebedarf besteht, der zu Hause nicht mehr bewältigt werden kann oder man nicht mehr zu Hause leben möchte. Spezialisierte Angebote für Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen vor Ort gibt allerdings nur wenige, so dass betroffene Pullacherinnen und Pullacher bisher vor allem auf Angebote in Nachbargemeinden oder in der Stadt München zurückgreifen müssen.
Das Projekt „Selbstbestimmt leben mit Demenz in Pullach – Wege gemeinsam gehen“
Der Entwicklung der Bevölkerungszahlen und der Mangel an speziellen Angeboten für Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen nahm die Gemeinde Pullach zum Anlass, sich intensiv mit dem Thema zu befassen und mit finanzieller Unterstützung des Landkreises ein Konzept zu erarbeiten. Aktuell werden unter der Federführung der Familien- und Seniorenbeauftragten Isabel Gruber und dem Sozialplanungsinstitut AfA gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der Seniorenarbeit sowie mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern Ideen und auf Pullach zugeschnittene Maßnahmen entwickelt, um die Gemeinde langfristig demenzfreundlicher zu gestalten. Es soll eine Umgebung geschaffen werden, in der Demenzkranke am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und in Würde leben können.
Der Startschuss des Projekts „Selbstbestimmt leben mit Demenz in Pullach – Wege gemeinsam gehen“ erfolgte im März 2017. Fachexperten aus Pullach und dem Landkreis, die sich mit dem Thema Senioren und Demenz befassen, folgten der Einladung der Ersten Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund zu einem Workshop, und eruierten gemeinsam den Bedarf an Angeboten für Menschen mit Demenz sowie deren Angehörige.
Darauf folgte im Juni eine Bürgerwerkstatt, in der Betroffene – Angehörige, rechtliche Betreuer sowie selbst Erkrankte – aufbauend auf die Ergebnisse des Expertenworkshops Probleme vor Ort, mögliche Maßnahmen und Projekte diskutierten.
Was wird gebraucht?
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beider Arbeitsgruppen waren sich in allen Punkten einig und entwickelten wünschenswerte Maßnahmenempfehlungen. Diese möchte nun die Gemeinde – soweit realisierbar – zeitnah angehen:
Regelmäßige Treffmöglichkeiten für Menschen mit Demenz und ihre Angehörige sind wichtig, um die wichtigen sozialen Kontakte beizubehalten oder neue aufzubauen. Vorhandenes Potential und bereits gegebene Angebote könnten dafür genutzt werden.
Entlastungsangebote für pflegende Angehörige vor Ort, die es bisher nicht gibt, sind wichtig und notwendig. Dies kann eine Angehörigen-/Selbsthilfegruppe sein oder ein Demenzhelferkreis, in dem geschulte Ehrenamtliche die Erkrankten stundenweise zu Hause betreuen. Auch eine fachlich begleitete wöchentliche Betreuungsgruppe „Herbstwind“, wie es bereits in Grünwald gibt, ist wünschenswert.
Präventiven Gesundheitsangebote, wie sie z.B. die Volkshochschule Pullach bereits in ihr Programm aufgenommen hat, sind notwendig und müssen ausgebaut werden.
Die Schaffung eines „Demenznetzwerks Pullach“ wird gewünscht, bei dem sich alle Expertinnen und Experten regelmäßig treffen und austauschen können.
„Wo sind meine Schlüssel? / “Autofahren im Alter” – Gute besuchte Themenabende im Bürgerhaus
Mit Themenabenden zum Thema Demenz und Prävention ging ein Wunsch bereits in Erfüllung. Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit ist von zentraler Bedeutung, um alle Altersgruppen zu diesem Thema aufzuklären, zu sensibilisieren und Hemmnisse zu überwinden. Denn leider ist Demenz in der Gesellschaft noch immer ein Tabuthema.
Fast 200 interessierte Bürgerinnen und Bürger folgten 2017 dem Vortrag “Wo sind meine Schlüssel” der Autorin Helga Rohra, die selbst an Demenz erkrankt ist und sich für die Rechte und Belange von Menschen mit Demenz einsetzt. Prof. Dr. Hans Förstl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am TU-Klinikum Rechts der Isar zeigte in seinem kurzweiligen Vortrag über Prävention auf, dass ein gesunder Lebensstil einer Demenzerkrankung durchaus entgegenwirken kann: viel Bewegung, nicht Rauchen, Alkohol in Maßen und v.a. soziale Kontakte. Zudem konnten sich die Besucher an verschiedenen Ständen über Beratungsstellen und Hilfsangebote etc. informieren.
Den Themenabend 2018 veranstaltete die Gemeinde Pullach zusammen mit der Alzheimer Gesellschaft zur Frage „Autofahren im Alter“? Etwa 70 Besucherinnen und Besucher informierten sich an den Ständen verschiedener Beratungsstellen und Akteuren der Altenhilfe, darunter der Optiker und Hörakustiker aus Pullach, die kostenfreie Hör- und Sehtests anboten. An Stationen des Demenzparcours konnte man mögliche Auswirkungen einer Demenzerkrankung aktiv erfahren und dadurch selbst erleben, mit welchen Schwierigkeiten Betroffene im Alltag zurechtkommen müssen. Im Anschluss an den Infomarkt folgten zwei Fachvorträge:
Dr. Jens Benninghoff ist Chefarzt am Zentrum für Altersmedizin und Entwicklungsstörungen am kbo Isar-Amper-Klinikum München-Ost und berichtete über körperliche und kognitive Veränderungen im Alter und deren Auswirkungen auf das Autofahren. Entgegen häufiger Vermutungen zeigen Unfallstatistiken auf, dass der Anteil der Verkehrsunfälle durch ältere Menschen bis 80 Jahre prozentual gesehen deutlich niedriger ist als bei jungen Erwachsenen. Und auch die Art der Unfälle unterscheidet sich stark. Während bei Jüngeren Unfälle durch zu schnelles Fahren und zu geringen Abstand sowie durch Fahren unter Alkoholeinfluss eher typisch sind, haben ältere Menschen häufiger Probleme, mit komplexen und unübersichtlichen Situationen zurechtzukommen, wie an Kreuzungen oder beim Abbiegen. Dr. Benninghoff empfahl, Fahrten im dichten Stadtverkehr sowie bei schlechtem Wetter oder Dämmerung/Dunkelheit zu vermeiden. Sinnvoll sei es, sich auf Kurzstrecken und Fahrten in bekannter Umgebung zu beschränken, längere Pausen einzuhalten und die Strecke vorab gut zu planen.
Harald Hofstetter vom Landratsamt München informierte über die rechtlichen Aspekte aus Sicht der Fahrerlaubnisbehörde. Seine Behörde befasst sich mit Fahreignungsprüfungen, beispielsweise wenn eine polizeiliche Anzeige oder eine Mitteilung (etwa von Angehörigen) über Fahreignungszweifel eines Führerscheininhabers vorliegt. Hinweise könnten Unsicherheit beim Abbiegen, zunehmende Missachtung von Verkehrszeichen, wiederholte Parkrempler mit Unfallflucht oder auch das Auftreten von unbekannten Unfallschäden am Fahrzeug sein. Hofstetter empfahl Angehörigen, bei Zweifeln an der Fahreignung das Gespräch mit dem Betroffenen zu suchen, unter Umständen auch gemeinsam mit dem Hausarzt. Zudem gibt es bei sogenannten Begutachtungsstellen für Fahreignung die Möglichkeit eines freiwilligen Eignungstests. Der letzte Schritt wäre schließlich die Meldung bei der Fahrerlaubnisbehörde. Sollte die Fahrerlaubnis nach intensiver Prüfung entzogen werden, sollten Angehörige die Nutzung des Fahrzeugs unmöglich machen, also beispielsweise den Autoschlüssel einbehalten.
Was ist sonst noch passiert?
Der Diakonieverein war sich der Notwendigkeit einer wohnortsnahen, niedrigschwelligen Demenzberatung schon früh bewusst und bietet seit Anfang 2018 eine solche an.
Die Charlotte-Dessecker-Bücherei hat ein „55plus-Regal – Ideen für später“ eingerichtet, in dem sie Fachliteratur (Psychologie, Pädagogik, Medizin), Ernährungsratgeber sowie Bücher und Spiele für das Gedächtnistraining finden.
Der Demenzwegweiser des Landkreises wurde von der Alzheimergesellschaft München Land in Zusammenarbeit mit den Landkreisgemeinden erstellt. Er ist kostenlos in der Gemeinde erhältlich und kann unter Downloads heruntergeladen werden.
Auch die Volkshochschule Pullach hat ihr Programm erweitert und bietet Vorträge und Gedächtnistraining an. Im Frühjar 2018 fand erstmals in Kooperation mit der Alzheimer Gesellschaft München-Land e.V. die kostenlose Schulungsreihe „Hilfe beim Helfen“ statt.
Demenzcafé “Café Malta“: In allen durchgeführten Workshops wurde als vorrangige Maßnahme die Schaffung von wohnortnahen Betreuungs-/Entlastungsangeboten gefordert. Stundenweise Betreuung trägt dazu bei, dass Menschen mit Demenz soziale Kontakte beibehalten bzw. neue aufbauen können. Außerdem können sich pflegende Angehörige zeitgleich erholen und entlastet werden. Die Malteser werden noch dieses Jahr ein Café Malta errichten. Nach dem Konzept „SilviaHemmet“ soll mit dem Café Malta eine Betreuungsgruppe für bis zu 8 Personen entstehen. Einen halben Tag pro Woche werden Personen in der Frühphase einer Demenz mit Hilfe von einer/m Hauptamtlichen und geschulten Ehrenamtlichen betreut und aktiviert (z.B. gemeinsames Singen, Beschäftigung). Die Betreuungsgruppe in den Räumen der katholischen Kirche stattfinden. Der Gemeinderat beschloss die Übernahme der Personalkosten einer/s geringfügig beschäftigten Mitarbeiterin/s, die/der die Gruppe leiten wird.
Vorträge für Einzelhandel und Vereine: Es fanden bereits einige Fachvorträge für spezielle Zielgruppen statt. Die Referentinnen Eva Pabst (Fachstelle für pflegende Angehörige) informierte Vertreter der örtlichen Vereine und Interessenten über Demenz, wie man sie – z.B. bei Mitgliedern – erkennt und damit umgeht. Franziska Lachner (Alzheimergesellschaft München-Land) setzte bei ihrem Vortrag den Fokus auf Gewerbetreibende. Sie gab Tipps, wie man mit erkrankten Kundinnen und Kunden umgeht, und auch welche rechtlichen Aspekte zu berücksichten sind. Weitere Veranstaltungen sind geplant.
Ihre Ansprechpartnerin
Die Seniorenbeauftragte der Gemeinde Pullach, Annegret Riquarts, ist bei Fragen gerne für Sie da. Tel. 089/744 744-71, E-Mail: riquarts@pullach.de