Bürgerbrief: Interview mit Fotograf Alexander Chekmenev

Alexander Chekmenev ist einer der bedeutendsten Fotokünstler der Ukraine. Seine Fotografien sind geprägt von einer sozialkritischen Perspektive, aber vor allem zeigt er die Würde des Menschen auch in den schwierigsten Situationen. Seine Arbeiten sind international bekannt. Derzeit sind seine Werke unter anderem im Centre Pompidou in Paris sowie in Amsterdam zu sehen. Besonders ikonisch sind seine Serien „Bürger von Kiew” und „Delete“, in denen er einfache Bürgerinnen und Bürger und Obdachlose fotografiert. Seit dem 1. März sind einige seiner Fotografien im Foyer des Bürgerhauses ausgestellt. Am Tag nach der Ausstellungseröffnung hatte ich Gelegenheit, den Fotografen kennenzulernen und ihm einige Fragen zu stellen:

Sie sind einer der international renommiertesten ukrainischen Fotografen. Wie würden Sie Ihren fotografischen Stil beschreiben?

„Ich würde sagen, dass mein Stil dokumentarisch ist, aber dennoch einen künstlerischen Anspruch hat. Ich versuche die Realität so abzubilden, wie sie ist, aber ich versuche dabei auch immer eine gewisse Poesie in meinen Bildern zu vermitteln. Die Schönheit liegt für mich in der Einfachheit und ich versuche diese Schönheit in meinen Bildern festzuhalten.“

Herr Chekmenev, Sie haben fast 30 Jahre lang das Leben der Menschen in der Ukraine dokumentiert, insbesondere in schwierigen Situationen. Können sie mir mehr darüber erzählen?

„Gerne. Ich habe immer versucht das Leben der Menschen in der Ukraine festzuhalten, ganz besonders in schwierigen Momenten, um ihre Erinnerung zu bewahren und ihnen eine Ehre zu geben. Ich verstehe mich als sozialkritischen Künstler. Ich fotografiere respektvoll und mit großer Sensibilität das Elend dieser Menschen. Dabei versuche ich aber immer, die Würde der einzelnen Person zu bewahren.“

Ihre Ausstellung ist ein politisches Statement, das die Kultur und Identität des Landes bewahren soll. Was war Ihre Motivation für Ihre Fotoreihen, die exemplarisch in dieser Ausstellung gezeigt werden?

„Die Motivation ist eigentlich ganz simpel: ich wollte die Geschichten der Menschen erzählen und ihr Leben dokumentieren, besonders in Zeiten des Krieges und während politischer Unruhen. Die Ukraine hat eine reiche Kultur und Identität, die bewahrt werden muss und ich wollte mit meiner Arbeit dazu beitragen.“

In Ihrer Serie „Passport“, von der wir auch zwei Bilder haben, dokumentieren Sie die Verzweiflung und ärmlichen Lebensumstände der Menschen in der Ukraine. Wie kam es dazu?

„Ich wurde damals vom Sozialministerium in Luhansk beauftragt, Passfotos von den armen, alten und kranken Menschen zu machen, die nicht das Geld hatten, sich selbst Passfotos machen zu lassen. Aber als ich die Zustände in ihren Häusern sah, ihre katastrophalen Lebensbedingungen, war ich so schockiert, dass ich beschloss, die Armut und das Elend zu dokumentieren. „Passport“ entstand also als ein Nebenprodukt dieses Auftrages.“

In Ihrer anderen Serie, von der wir auch ein paar Bilder zeigen, dokumentieren Sie das Leben der Menschen in der Steinkohle- und Industrieregion, an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Was war Ihre Inspiration für diese Serie?

 „Nach dem Zerfall der UdSSR wurden viele Gruben geschlossen und die Bergarbeiter und ihre Familien fielen in tiefe Depression. Ich wollte ihre Geschichte erzählen, um aufzuzeigen, wie schwer ihr Leben geworden ist und das für die Nachwelt festhalten.“

Ihre Bilder zeigen eine krasse Realität, die oft sehr schlimm zu verdauen ist. Warum machen Sie das?

„Ich denke es ist sehr wichtig, die Realität zu zeigen und auf die Probleme aufmerksam zu machen, die in unserem Land existierten und immer noch existieren. Besonders in den schwierigen Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, ist es wichtig, dass wir nicht vergessen, was passiert ist und ja immer noch passiert. Meine Arbeit soll dazu beitragen, dass Bewusstsein für die aktuellen Ereignisse zu schärfen und gleichzeitig auf die längerfristigen Auswirkungen hinweisen.“

Eines Ihrer bekanntesten Bilder ist wahrscheinlich das Portrait des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, das auf dem Cover des New York TimeTime Magazines zu sehen war. Wie ist dieses Bild zustande gekommen?

„Es freut mich sehr, dass Sie die Geschichte hinter dem Bild erfahren möchten, denn Sie sind die Erste die danach gefragt hat. Das Foto war eine Art Nacht und Nebelaktion. Ich traf den Redakteur Simon Schuster vom New York Times Magazin vor dem Präsidentenpalast. Wir gingen gemeinsam in den total verdunkelten Palast, hatten nur Taschenlampen dabei, denn normales Licht war zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht erlaubt. Ich hatte insgesamt nur ganze 20 Minuten für das Fotoshooting. Der Prunksaal, in dem das Shooting stattfand, war voller Leute, denn der Präsident hat immer eine riesige Entourage dabei. Ich bat, mit Selenskyj alleine gelassen zu werden, was erst nicht erlaubt wurde. Aber Selenskyj vertraute mir voll. Zum Schluss waren es nur er und ich, mein Assistent und die drei Bodygards von Selenskyj, die niemals von seiner Seite wichen. Gott sei Dank hat es auch geklappt und so ist dieses wunderschöne Portrait entstanden, welches jetzt das Cover des New York Times Magazines geworden ist. Ich bin unheimlich stolz darauf. Ich habe übrigens den Erlös dieses Bildes, was versteigert wurde, einem guten Zweck gestiftet. Dank dieses Bildes haben jetzt etliche Schulen und Kindergärten dringend benötigte Generatoren zur Stromerzeugung.“

Sie sind in einer Zeit geboren, als die Ukraine noch Teil der Sowjetrepublik war. Was empfinden Sie angesichts der Tatsache, dass der russische Machthaber nun versucht, das Land „zurückzuerobern“?

„Es ist für mich persönlich unerträglich zu sehen, wie unsere europäische Entwicklungsperspektive gefährdet ist. Ich möchte nicht, dass unserem Land diese Perspektive genommen wird und ich um meine Freiheit fürchten muss. Ich hoffe, dass wir uns friedlich einigen werden, auch wenn das in naher Zukunft wohl nicht der Fall sein wird.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Liebe Pullacherinnen und Pullacher, sollten Sie die Ausstellung im Bürgerhaus noch nicht besucht haben, haben Sie noch bis Ende März Gelegenheit dazu.

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Susanna Tausendfreund
Erste Bürgermeisterin