Bürgerbrief: Auf den Pfaden von Erich König

„Für uns war es sehr wichtig, mehr über unseren Großvater bzw. Ur- und Urgroßvater Erich König zu erfahren“. So unterschrieben am Mittwoch, 07.09.2022, Walter, sein Sohn Jeff und dessen Söhne Thomas und James ihren Eintrag in das Goldene Buch der Gemeinde Pullach, der auf ein gemeinsames Abendessen mit der Ersten Bürgermeisterin, Susanna Tausendfreund, Dr. Susanne Meinl, Erwin Deprosse und Christian Sachse gefolgt war.

Das Leben Erich Königs, an den sich nur noch wenige in Pullach erinnern dürften, mit all seinen Stationen, Initiativen, Gründungen, Erfindungen, Passionen – und auch Schicksalsschlägen – nachzuvollziehen und zu verstehen, ist keine einfache Sache.

Es begann in schwierigen Verhältnissen. Die Mutter war ungarische Schauspielerin. Der Vater, kaiserlicher Marineoffizier friesischer Herkunft, fiel 1870, als Erich König zwei Jahre alt war. Viele Ortswechsel mit der Mutter, zeitweise bittere Armut, Schul- und Ausbildungsjahre ohne sichere materielle Grundlage ergaben einen schwierigen Start, förderten aber seine wache Beobachtungsgabe, seine Improvisationsfähigkeit und vor allem seinen sagenhaften Erfindungsreichtum, der sich zwischen Mitte der 1890er Jahre und dem Beginn der 1920er Jahre in fast zwei Dutzend Firmengründungen unterschiedlicher Branchen sowie dem Erwerb von Patenten niederschlug. Nach einer Banklehre und Stellungen als Börsendisponent und Vertreter gründete er zunächst in München ein florierendes Hut- und Schirm-Spezialgeschäft am Marienplatz (1899), in den Folgejahren ein „Werbe- und Plakatinstitut“, eine „Woll-Handelsgesellschaft“, die „Münchner Aktiengesellschaft für künstlerische Stickerei“, 1917 ein Kino in der Hans-Sachs-Straße in München. Er stieß auf Bedürfnisse und Nöte seiner Zeitgenossen, dachte nach, suchte fieberhaft und fand ein Geschäftsmodell. So ergab sich manche weitere Gründung, auch sein wichtigstes Projekt, die „Kuchler-Gesellschaft für Hygienische Milchversorgung“ (1906), die Produktion und Vertrieb von frischer, sauberer Milch sicherstellen sollte – eine auf eigenem Kapital aufgebaute Firma, die Qualität und Verbreitung des Produkts verbessern und schwere Krankheiten vermeiden sollte. Damit erwarb er bis zum Beginn der 1920er Jahre acht Patente für Erfindungen, die in ganz Deutschland und darüber hinaus realisiert wurden.

Früh wurde er reich und konnte sich bereits 1903 ein üppiges Haus in Großhesselohe bauen, eine Jugendstilvilla, von ihm „Königshorst“ genannt, zwölf Zimmer, die erste, die in der damaligen Villenkolonie Großhesselohe errichtet wurde.  Heute ist das Gebäude in ruinösem Zustand erhalten (Frítz-Gerlich-Straße 14), von seiner ursprünglich stilvollen Gestaltung und Ausstattung ist vermutlich nichts mehr vorhanden.

Neben allen zum Teil gleichzeitig betriebenen Gewerben pflegte er seine große Passion für den Bergsport. Er gründete Sportgruppen und Vereine, auch im Allgäu und in Stuttgart. In Oberstdorf meldete er eine weitere Firma an, das „Touristen-Ausrüstungsgeschäft Erich König“. Über unzählige Ski- und Bergtouren, Erstbesteigungen, Hüttenbauinitiativen und ähnliches gibt ein Teil seines Nachlasses Auskunft, der im Deutschen Alpenverein in München verwahrt wird und zahlreiche Touren- und Tagebücher, Bergkarten und Fotos enthält. Weitere Teile seines Schriftnachlasses liegen im Stadtarchiv München und im Gemeindearchiv Pullach.

Soweit man feststellen kann, hatten Reichtum und Erfolg Erich König jedoch nicht zu Arroganz und Egoismus gebracht. Er setzte sich intensiv für das Gemeinwesen im heimatlichen Bereich und darüber hinaus ein: engagierte sich für die örtliche Feuerwehr und war in den 1920er Jahren Gemeinderatsmitglied in Pullach. 1919, unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, übernahm er sogar ein höheres Staatsamt in Bayern: Er wurde Kommissar für Ernährungsfragen unter der Regierung Eisner. Seinerzeit verstand er sich als Sozialist und warb für das Rätesystem in Bayern und in Deutschland.

Sein Privatleben allerdings erlitt in den 1920er und 1930er Jahren bittere Brüche, als sein Sohn Fritjof 1925 aus Deutschland auswanderte, seine Tochter Ingeborg schwer erkrankte und 1937 verstarb und er seine Frau, eine „Volljüdin“, 1937 ins Exil nach Italien, später Kroatien, bringen musste. Fritjof war übrigens der Vater des eingangs genannten Walter, Ur- bzw. Ur-Urgroßvater von Jeff, Thomas und James.

Über die Recherchen nach dem Schicksal seiner jüdischen Ehefrau Margarethe („Margerit“) König (*1868), die 1947 schließlich einsam in Ika/Lovran in Kroatien verstarb, da Erich König ab 1941 keinen Pass mehr hatte und nach dem Krieg kein Visum dorthin erhalten konnte, haben Frau Dr. Meinl und die Gemeinde Kontakt zu den Nachfahren bekommen. In dem Band: Pullacher Lebenswege. Gedenkbuch der antisemitisch verfolgten Bevölkerung, Pullacher Schriftenreihe Band 8, 2018, wird schließlich das Schicksal der Königs beschrieben. Sie können das Buch im Rathaus erwerben.

Als das Buch 2018 bei den Königs in den USA vorlag, waren alle, die Alten wie die Jungen, wie gebannt. Das Kapitel über die Familie wurde eiligst mittels Translator übersetzt und durch Walter Punkt für Punkt erläutert. „Wir wollten nach Deutschland kommen – doch das ging dann doch nicht sofort. Dann kam die Pandemie. Nun haben wir es geschafft“.

Walter und Jeff werden der Familie zuhause wieder viele Zusammenhänge erklären können. Walter kennt mit seinen 87 Jahren noch die alten Zeiten, auch seinen Großvater Erich hat er noch erlebt.

Die beiden Ur-Urenkel wollen wiederkommen nach Deutschland und Pullach.

Auch wir, die wir den Abend mit den Amerikanern erlebt haben, waren bereichert und froh.

Erich König verstarb übrigens 1956 in Pullach: er hatte in den 1940er Jahren sein Vermögen verloren, lebte hier von Sozialhilfe, bewohnte aber bis zuletzt das Haus „Königshorst“ als Mieter. Dieses Recht war ihm nach allen Auseinandersetzungen um sein Vermögen geblieben. Verbittert war er allerdings nicht: immer noch blitzten zahlreiche Ideen und Erinnerungen aus seinen Augen. 

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Susanna Tausendfreund
Erste Bürgermeisterin

20.09.2022