Bürgerbrief: Jugendarbeit in Zeiten der Pandemie

Jeden einzelnen von uns treffen die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie und doch treffen sie uns nicht alle mit gleicher Härte. Über einige besonders betroffene Personengruppen liest und hört man regelmäßig, wie beispielsweise jene, die zur sogenannten Risikogruppe zählen und besonders vorsichtig sein müssen. Aber auch für Jugendliche, für die der Freundeskreis bekanntlich „alles“ ist, steht seit über einem Jahr Verzicht auf der Tagesordnung – und über die hört man sehr wenig. In diesem Bürgerbrief geht es daher um unsere Pullacher Jugendlichen. Im folgenden Interview mit Patrick Garcia, der als Erzieher in der Pullacher Jugendfreizeitstätte freiraum2 arbeitet, erfahren Sie, warum es in der politischen Diskussion nicht nur um Schulöffnungen oder -schließungen gehen sollte und wie es Jugendlichen mit den coronabedingten Einschränkungen geht.

Seit wann sind die Räume des freiraum2 behördlich geschlossen und gibt es schon eine Öffnungsperspektive?

„Bereits letztes Jahr mussten wir zunächst schließen, bevor wir unter einem strengen Hygienekonzept wieder öffnen durften. Das lief eigentlich sehr gut. Es konnte natürlich nur eine gewisse Anzahl an Jugendlichen gleichzeitig kommen und wir mussten darauf achten, dass Abstände und Hygienemaßnahmen eingehalten werden, die – je nach den jeweils gültigen Regeln – immer wieder angepasst wurden. Anfang Dezember ist dann aber das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft getreten und seither darf kein offener Betrieb mehr stattfinden. Der freiraum2 hat also seit fast drei Monaten zu, eine Öffnungsperspektive gibt es bisher nicht.“

Trotz Schließung der Räumlichkeiten sind Sie aber alles andere als untätig. Welche Angebote können Sie aktuell für die Pullacher Jugendlichen umsetzen? Und wie werden sie angenommen?

„Ja, das stimmt. Wir haben verschiedene digitale Angebote für die Jugendlichen aus unseren ursprünglichen Vor-Ort-Angeboten heraus entwickelt. Vor der Schließung haben wir dienstags immer Hip Hop Tanz in unseren Räumen angeboten, jetzt findet dieses Angebot als Online-Workshop statt. Die ,Art Night‘, in der wir kreative Angebote durchführen, ist jetzt eine ,Digital Art Night‘ und wir liefern vorab allen angemeldeten Jugendlichen die benötigten Materialien nach Hause. Genauso funktioniert auch unser beliebter ,Dinnerstag‘, an dem gemeinsam gekocht wird: wir liefern die Zutaten nach Hause und alle kochen mit eingeschalteter Kamera. Anfangs wurden die Online-Formate etwas schleppend angenommen, aber inzwischen läuft das wirklich gut.

Außerdem bieten wir sogenannte ,1:1‘ an. Das sind Treffen zwischen einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter des freiraum2 mit einer/einem Jugendlichen. Diese dürfen unter Wahrung der Hygieneregeln auch weiterhin persönlich stattfinden, manche Jugendliche wollen aber auch nur telefonieren – da richten wir uns ganz nach den jeweiligen Bedürfnissen. Oft gehen wir einfach spazieren und unterhalten uns dabei.“

Welche Themen sprechen die Jugendlichen beim „1:1“ an?

„Das ist ganz unterschiedlich und reicht vom ganz lockeren, netten Austausch bis hin zu familiären Problemen. Häufig erzählen uns die Jugendlichen aktuell von Zukunftsängsten, vor allem in Hinblick auf die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation. Viele Betriebe haben ganz geschlossen oder bilden nicht aus in diesen unsicheren Zeiten, das schürt natürlich große Ängste davor, wie es nach der Schule weitergeht.“

Erreichen Sie denn noch alle Jugendlichen, die regelmäßig in den freiraum2 gekommen sind?

„Die traurige Antwort ist ein ganz klares Nein! Es ist deutlich zu spüren, dass bei Weitem nicht alle Jugendlichen die Online-Angebote wahrnehmen, mit denen wir im offenen Betrieb regelmäßig zusammenarbeiten. Manche nehmen auch nur das ,1:1‘ Angebot wahr, aber einige erreichen wir gar nicht mehr.“

Wie beurteilen Sie das? Sind Jugendliche von den Einschränkungen, die der Lockdown mit sich bringt, besonders betroffen? Welchen Eindruck machen „Ihre“ Jugendlichen auf Sie in dieser Zeit?

„Unserer Meinung nach sind Jugendliche sehr stark von den Corona-Maßnahmen betroffen. In der öffentlichen Debatte fällt einfach völlig unter den Tisch, dass Jugendliche und Kinder nicht nur Schülerinnen und Schüler sind, sondern soziale Wesen mit Bedürfnissen, die weit über den Schulunterricht hinausgehen. Freunde, die ,Clique‘ – darum dreht sich in der Jugend eigentlich alles. Und die kann man nun schon wieder seit Monaten nicht oder nur sehr eingeschränkt sehen. Jugendliche haben aber ein Recht auf Freizeit und müssen ja auch wichtige Entwicklungsaufgaben in dieser prägenden Zeit meistern – das findet in den Maßnahmen keinerlei Beachtung. Diskutiert wird nur: Findet Schule statt oder nicht? Der Rest wird ignoriert. Die Auswirkungen dieser Situation sind dabei sehr unterschiedlich. Genervt sind natürlich alle. Wenn man aber in guten Familienverhältnissen aufwächst, dann ist das alles deutlich besser auszuhalten, als in Familien, in denen es vor Corona schon nicht einfach war und wo jetzt vielleicht noch existenzielle Sorgen dazukommen. Da kann die Belastung für junge Menschen schon enorm werden. Umso wichtiger ist es, dass Jugendliche Anlaufstellen haben, wenn sie einen Rat oder auch einfach nur ein Ohr brauchen – dafür stehen wir jederzeit zur Verfügung.“

Auf welchen Wegen können die Jugendlichen Sie denn aktuell gut erreichen?

„Entweder per privater Nachricht über unseren Instagram Kanal: @juz_freiraum, oder per Mail an: info@freiraumhoch2.de oder über unsere Diensthandys Steffi Wallner (0175/298 61 98) bzw. mich (0177/495 37 41). Wir freuen uns über jede Jugendliche und jeden Jugendlichen, die/der sich bei uns meldet.“

Zum Abschluss: Wenn das freiraum2-Team sich etwas wünschen könnte für die Jugendarbeit in der Pandemie – was wäre das?

„Wir als Team wünschen uns, dass die Bedürfnisse von Jugendlichen ins Blickfeld der Politik kommen. Außerdem hoffen wir bei allem Verständnis für die Notwendigkeit von Hygienemaßnahmen auf eine schnelle Wiedereröffnung der Jugendfreizeitstätten. Unser Eindruck ist: Die Situation nimmt die Jugendlichen zunehmend mehr mit. Digitale Angebote können den persönlichen Kontakt nur bedingt ersetzen – sie sind eher eine Ergänzung. Und nicht wenige Jugendliche fallen im aktuellen Setting ganz hinten runter und wir erreichen sie nicht mehr, weil sie zum Beispiel keinen PC oder Laptop haben. Das macht uns sehr betroffen und dürfte eigentlich nicht sein.“

Ich bedanke mich bei Patrick Garcia für das Interview und beim gesamten Team des freiraum2 für ihr Engagement auch unter erschwerten Rahmenbedingungen. Unseren Pullacher Jugendlichen wünsche ich von Herzen, dass sie bald wieder mehr Freiheiten zurückbekommen und auch der freiraum2 wieder öffnen darf.

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Susanna Tausendfreund
Erste Bürgermeisterin

Das Telefoninterview führte Janina Decke, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

02.03.2021