Partnerschaftenverein Pullach: Kinderbesuch aus Baryschiwka

Es war der ausdrückliche Wunsch aus Berezan und Baryschiwka, Kindern eine Auszeit von Krieg und Bedrohung zu ermöglichen. Wir vom Partnerschaftenverein hätten uns nicht getraut, Kinder in dieser Zeit einzuladen. Die Kindereinladung war die Aktion, die seit Beginn der Partnerschaft 1990 durchgeführt wurde. In den ersten Jahren kamen Kinder aus Familien, die nach der Tschernobyl-Katastrophe in den Rayon Baryschiwka übersiedelt wurden. Das Konzept hat sich im Laufe der drei Jahrzehnte entwickelt bis 2019, als Reisen wegen Corona nicht möglich war.

Kindergruppe aus Baryschiwka/Ukraine zu Besuch in Pullach. Foto: Partnerschaftenverein

2022 im Februar begann der Krieg mit Russland. In den ersten Monaten kamen viele geflüchtete Frauen mit ihren Kindern zu uns, die teilweise, als sie selbst noch Kinder waren, Pullach besucht hatten. Die Dramatik setzt sich fort. In den ersten Wochen ging der Belagerungsring der Russen durch das Gebiet unserer Partnerstädte. Vier Dörfer waren sehr schlimm betroffen, die Familien flüchteten in die Keller und warteten mehrere Wochen ab. Unvorstellbar, wieviel Angst, Sorgen und Erlebnisse die Personen aushalten mussten. Die gegnerischen Soldaten verwüsteten Häuser, alles was sich ihnen bot, und schreckten vor keinen Greueltaten zurück, bis zum Mord. Sie hinterließen nach der Belagerung viele Minen, versteckt überall, von der Küchenschublade bis zum Wegesrand. Erst nachdem Spezialisten die Gegend absuchten, konnten die Leute zurück, hatten aber keine Garantie, dass alle Sprengsätze gefunden wurden. Die Schulgebäude, Ambulatorien und viele Privathäuser waren zerstört. Die Eigentümer packten sofort an und richteten die Gebäude wieder notdürftig. 

Realität in der Ukraine ist, dass die Männer als Soldaten eingezogen werden. Sie kämpfen an der Front, oft nicht ausreichend ausgerüstet und geschützt. Seit dem ersten Tag des Krieges beklagen die Menschen tote Angehörige, Männer, Brüder, Söhne, Väter.

Das ist die Welt, die die Kinder aktuell erleben. Sie besuchen möglichst in Präsenz die Schule. Die Realität ist eine Woche online, eine Woche Präsenzunterricht. Wenn Alarm ist, gehen alle Kinder in die Schutzräume und warten die Zeit ab. Natürlich sind die Keller mit Schulmöbeln und Beschäftigungsmöglichkeiten ausgestattet. Aber eigentlich warten alle, bis die Warnung beendet ist, immer mit dem Hintergedanken, es könnte etwas schlimmes passieren. Am Anfang des Krieges hatten alle, auch die Kinder, Angst. Die Lehrerinnen berichten, dass die Kinder nach zweieinhalb Jahren Krieg keine Angst mehr haben oder momentan keine Angst spüren. Das ist Überlebensstrategie in Zeiten des Krieges. Aber wenn der Spuk vorbei ist und keine direkte Bedrohung vom Himmel oder anderswo kommen kann, Ruhe in das Leben der Familien einkehrt, alle Angst wieder zulassen und spüren dürfen, was brauchen die Leute um das Trauma zu überwinden? Wie viele Menschenleben kostet der Krieg? Hinter jedem Menschen steht ein Schicksal, stehen Menschen die trauern und mit dem schweren Verlust leben müssen. In der Gruppe waren Kinder, die der Krieg zu Halbwaisen macht. Ein Mädchen berichtet: “Meine Mutter sieht mich nicht mehr, sie weiß gar nicht, wie es mir geht. Sie denkt nur an ihren Verlust.” Der Ehemann und Vater ist gefallen.

Die Lehrer erbaten für die Kinder eine Auszeit vom Krieg. Sie wollten den Kindern, deren Väter an der Front kämpfen, die in russischer Gefangenschaft waren oder als Soldaten gestorben sind, eine Möglichkeit der Erholung geben.

Wir vom Partnerschaftenverein haben uns viele Gedanken gemacht, ob es gut und richtig ist, die Kinder mit all ihren Belastungen und traumatischen Erfahrungen einzuladen. Wir würden uns nicht zutrauen, den Kindern mit den psychischen Problemen zu helfen. Die Pädagogen aus der Ukraine gaben klar die Vorgabe, die Kinder normal zu behandeln. Auch das Programm sollte in die Zukunft gerichtet sein. Das wird die Generation sein, die sich viel mit dem Wideraufbau beschäftigen wird. Die ersten Tage in den Bergen sollte sich die Gruppe kennenlernen und erholen. Die Fahrt mit dem Bus war anstrengend und lange. Wir fuhren mit den Bergbahnen auf die Berge und unternahmen Wanderungen. Ein Hotel mit Reitstall schenkte jedem Kind die Gelegenheit für eine halbe Stunde auf einem Haflinger Pferd geführt zu reiten. Zwei trauten sich nicht, alle anderen genossen die Zeit auf den Pferden. Jeden Nachmittag fanden wir die Gelegenheit im Schwimmbad abzukühlen. Ansonsten gab es im Familienhotel viele Spiele und Beschäftigungsmöglichkeiten.

Relativ ruhig und entspannt kamen die Kinder in Pullach an. Wir übergaben sie in die Obhut der Gastfamilien aus Pullach und Solln. Die Gruppe traf sich täglich von 8 bis 18 Uhr und unternahm verschiedene Aktionen. Immer gut war, selbst aktiv zu sein, wie im Walderlebniszentrum Grünwald, in den Bavaria Filmstudios, im BMW Campus beim Programmier Workshop, im Museum Mensch und Natur, im Biolab Labor dem Code des Lebens auf der Spur, bei der Feuerwehr in Pullach. Auch der Besuch des Otfried Preußler Gymnasium Pullach schenkte den Kindern einen Eindruck vom Schulalltag. Pullach erkundeten die Gäste mit einer Schnitzeljagd, was Spaß machte. Die Bürgermeisterin verteilte kleine Preise und erzählte von der gelebten Demokratie. Immer wieder gab es Zeit zum Chillen, Ruhen und Rasten. Auffallend war das vertrauensvolle Verhältnis zu den drei Lehrerinnen, die die Gruppe sehr gut durch die Urlaubszeit führten. Die Gruppe stellte als Dankeschön ein Programm mit verschiedenen Gesangs- und sportlichen Darbietungen zusammen, tanzte und spielte Gitarre. Der Rittersaal der Burg Schwaneck lieferte den passenden Rahmen. Bedanken müssen wir uns bei den Gastfamilien, die die Kinder herzlich aufgenommen haben. Es ist nicht einfach, da die sprachliche Barriere immer noch gegeben ist. Und jedes Kind hat sein besonderes Päckchen, oft war viel Akzeptanz gefragt.

Allen, die geholfen haben – den Fahrern der zwei Kleinbusse, die die Firma Sixt kostenfrei zur Verfügung gestellt hat, den Helfern, die sich beim Ausflug am Starnberger See um das Grillen, die Wanderung und die Unterhaltung gekümmert haben: vielen lieben Dank!

Die Kinder sind alle gut zurück in ihrer Heimat, mit vielen Eindrücken und Erlebnissen. Ihre Gesichter waren freudig, sie konnten sich tatsächlich entspannen und wir hoffen es war für sie ein Lichtblick in düsteren Zeiten.

In unseren Partnerstädten melden sich viele Familien und möchten auch für ihre Kinder die Chance, dass sie eine Pause von Krieg und Bedrohung bekommen. Wir vom Partnerschaftenverein müssen gemeinsam mit der Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund überlegen, wie und was wir planen. Es ist nicht einfach und nur mit der Unterstützung vieler Helferinnen und Helfer möglich.

Otto Horak
Partnerschaftenverein Pullach i. Isartal e.V.
Johann Bader Str. 21
82049 Pullach i. Isartal
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E-Mail: support@pv-pullach.de