Als am 13. März 2020 die Nachricht vom Tod Renate Seidels bekannt wurde, haben viele Pullacherinnen und Pullacher das Bedürfnis gehabt, sich angemessen von dieser großartigen, kämpferischen und großherzigen Frau zu verabschieden. Sie hat das kulturelle und soziale Leben in Pullach in vielen Bereichen mitbegründet und über viele Jahre hinweg unermüdlich gefördert.
Ihr Wirken war energisch und einfühlsam zugleich und immer von Weitblick geprägt. Bereits zu Beginn der 1970er Jahre begann sie zusammen mit anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, den Kulturstandort Pullach „zu vermessen“. Die Eheleute Seidel waren damals gerade mit ihren kleinen Kindern von Grünwald hierher nach Pullach gezogen. Was gab es? Was sollte geschaffen werden? Welche Angebote, vor allem für Kinder und Jugendliche, waren erforderlich? Sie engagierte sich im jeweiligen Elternbeirat, sie organisierte Befragungen unter den Pullacherinnen und Pullachern und saß vor Bergen von Zetteln, die sie systematisch auswertete. Sie hatte eine große Liebe zu Musik und Kunst, zur Kultur insgesamt und wollte diese auch anderen ermöglichen, vor allem den Jungen. Sie wusste, dass diese davon ein Leben lang bereichert würden.
Ob Musikkurse und der Einsatz für die Musikschule, oder Bildungsangebote, vor allem im Rahmen der Volkshochschule – Renate Seidel organisierte und realisierte: Kulturveranstaltungen, Konzerte, Ausstellungen, Theater mit großer Energie und Beharrlichkeit noch bevor es das Bürgerhaus gab. Sie schaffte es immer wieder, auch große Künstler nach Pullach zu holen. Bis zu 17 hochkarätige Veranstaltungen organisierte sie im Laufe eines Jahres und begründete so den auch überregional guten Ruf Pullachs als Ort von Kulturveranstaltungen.
Von 1984 bis 1996 war Renate Seidel Mitglied des Pullacher Gemeinderates und während dieser ganzen Zeit ehrenamtliche Kulturreferentin. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist der „Pullacher Kultursommer“ (1985).
Auch in einem weiteren Bereich leistete Renate Seidel für unsere Gemeinde und ihren Zusammenhalt Wichtiges: Sie begründete 1985 die Nachbarschaftshilfe und leitete diese 27 Jahre lang, bis sie 2012 diese Tätigkeit in gute Hände weitergab. Damit förderte sie Mobilität und Lebensfreude älterer und behinderter Menschen auf beispielhafte Weise und setzte Maßstäbe im Sozialleben der Gemeinde.
Schließlich setzte sie sich für die Partnerschaften mit den Gemeinden Pauillac in Frankreich und Baryschiwka in der Ukraine ein. Zahlreiche Reisen, Veranstaltungen und Initiativen mit und für diese gehen auf das Engagement Renate Seidels und ihres Ehemannes, Dr. Bernhard Seidel, zurück, der im März 2017 verstarb.
28 Jahre waren Renate und Bernhard als wesentliche Organisatoren für unsere Gemeinde „das deutsche Herz der Partnerschaft mit dem französischen Pauillac“. Bei der Partnerschaft mit Baryschiwka schlug bei Renate Seidel ganz besonders auch das musikalisch-künstlerische Herz. So organisierte sie Gastauftritte der Tanz- und Gesangsgruppe Prolisok, die bei ihren Auftritten mit 40 Personen eindrucksvoll ein damals, kurz nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, ganz ungewohntes und während der Teilung Europas verborgenes Lebensgefühl vermittelten.
Die Gemeinde Pullach und der Landkreis München haben Renate Seidel die Ehren- bzw. Goldene Nadel verliehen, in Pauillac erhielt sie die „Medaille d’honneur“ und 1999 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz überreicht – die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht.
Leider war eine angemessene Verabschiedung bei einer Trauerfeier mit Beginn der Pandemie im März 2020 und den damit verbundenen Beschränkungen nicht möglich. Wir danken der Familie und allen Mitwirkenden, dass sie uns diese Möglichkeit mit einer Gedenkfeier in dieser Woche im Bürgerhaus nachträglich gegeben haben. Der Saal im Bürgerhaus war der richtige Ort dafür. Es ist der zentrale Ort Pullacher Kulturveranstaltungen, dessen Gründung vor 25 Jahren zu einem großen Anteil auf Renate Seidel zurückgeht. Für einen ehrenden Dank an Renate Seidels Wirken bleibt es unsere Aufgabe, an sie zu erinnern.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre Susanna Tausendfreund
Erste Bürgermeisterin
Foto: Claus Schunk
09.11.2021
