Bestimmt sind Sie schon einmal über unseren Kirchplatz spaziert, wenn Ihr Tag nicht von Terminen und Pflichten gesteuert war. Und vielleicht haben Sie in dieser kurzen Zeit der Muße einen Blick auf die beiden alten Dorflinden geworfen – wie sie knorrig-alt das Bild dieses zentralen Platzes mitprägen. Im gemeindlichen Baumkataster tragen Sie die Nummern 700 und 569 und sind wahrlich nicht unbedingt imposant oder gar Schmuckstücke. Doch Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters! Mag sein, dass die folgenden Zeilen Ihr Interesse für die Geschichte der beiden Bäume wecken.
Unsere Gemeinde hatte lange Zeit keinen richtigen Marktplatz, dafür war das Dorf Pullach einfach zu klein. Erst als unter Montgelas’ Regierungsverantwortung in Bayern ab 1802 das Finanzwesen reformiert worden ist, wurde aus Pullach eine selbständige Steuerkommune. Der Kirchplatz war damals eine etwas breitere Durchgangsstraße mit einer Allee, vermutlich auch aus Linden bestehend. Und weil der Rabenwirt damals seine Gäste noch nicht mit Speisen und einem herrlichen Blick über das Isartal verwöhnen konnte, saßen die Bürgerinnen und Bürger mit Met und Bier auf Bänken vor der Schänke im Schatten des Kirchleins Heilig Geist. Zu dieser Zeit Ende des 19. Jahrhunderts muss dann auch unsere älteste Dorflinde mit der Nummer 700 gepflanzt worden sein. Damals war ihr Standort noch mitten im Vorgarten eines Wohnhauses gelegen, dort wo sich heute das Café Dolce befindet. Dem ehemaligen natürlichen Relief nach steht sie heute immer noch etwas erhöht auf einem Erdbuckel aus Nagelfluh. Ihr „Podest“ ist also das letzte Überbleibsel eines kleinen eiszeitlichen Plateaus, welches in den 90ern im Zuge der letzten Umgestaltung des Kirchplatzes gänzlich weichen musste. Wer sich eine Vorstellung von unserer damaligen Ortsmitte machen will: Das Gebäude des ehemaligen Huther-Schmieds in der Schulstraße Ecke Habenschadenstraße steht heute noch auf diesem „Höhenzug“.
Leicht hatte es die ältere der beiden Dorflinden also nie. Immer wieder wurde um sie herum gegraben, wurden Straßen und Bürgersteige versetzt, ihre Krone wurde geschnitten. Vor 50 Jahren war man weniger zimperlich – Baumpflege war damals eher ein Fremdwort. Und nachdem sie all dies überstanden hatte, wäre sie dann 1993 beinahe doch noch gefällt worden – wegen ihrer zu kleinen Blätter. Wenn nicht der damalige Geschäftsleiter Erwin Deprosse ganz richtig erkannt hätte, dass diese Blätter nicht Ausdruck einer Krankheit sind, sondern einfach ganz typisch für die Baumart Winterlinde.
Baum Nummer 569 vor der ehemaligen Metzgerei hingegen ist eine Sommerlinde und bildet größere Blätter. Sie hat jedoch schwer an einem geschichtlichen Rucksack zu tragen: 1939 wurde sie nämlich anlässlich des Geburtstages von Adolf Hitler gepflanzt. Man könnte meinen, ihr diese Last förmlich anzusehen: Sie ist von eher kümmerlichem Wuchs und schlechter Vitalität. Da Linden bis zu 1000 Jahre alt werden, stehen ihre rund 85 Lebensjahre zu ihrer äußeren Erscheinung klar im Widerspruch.
Noch vor dem 24. Deutsch-Französischen Freundschaftsfest, das vom 23. bis zum 25. Juni stattfindet, werden beide Linden einer professionellen Baumpflege unterzogen: Kranke und absterbende Äste werden abgeschnitten und Fehlentwicklungen im Wuchs vorgebeugt. Insgesamt soll wieder ein schöner Kronenhabitus entstehen, der die Linden nicht nur verkehrssicher, sondern auch optimistischer in eine gesunde Zukunft schauen lässt.
Wenn Sie also am kommenden Wochenende nach einem Bummel durch den 2. Pullacher Gartenflohmarkt oder vom Stadtradeln zum Franzosenfest auf den Kirchplatz kommen, werden Sie vielleicht die dort angebotenen Spezialitäten im Schatten unserer Dorflinden genießen. Und Sie wissen nun: Nicht nur Menschen haben viel zu erzählen!
Es grüßt Sie herzlich Ihre
Susanna Tausendfreund
Erste Bürgermeisterin
13. Juni 2017