Anlässlich des bundesweiten Volkstrauertags fanden auch in unserer Gemeinde am vergangenen Sonntag, 17. November, Gottesdienste und anschließend die traditionelle Gedenkfeier an der Gedächtnisstätte für die weltweiten Opfer von Krieg und Gewalt statt.
Die Pfarrer Wolfgang Fluck und Martin Zöbeley hielten die Andacht. Dazu übernahm Heinrich Fischer als Vorsitzender der Soldatenkameradschaft nach der Ansprache der Ersten Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund bereits zum zehnten Mal die Gedenkrede. Hierfür allen ein großes Dankeschön. Für die tatkräftige Unterstützung und die rege Teilnahme bedanken wir uns ebenfalls herzlich bei der Pullacher Blasmusik, bei der Freiwilligen Feuerwehr und bei den Pullacher Vereinen, die auch dieses Jahr mit ihrer Anwesenheit wieder den Stellenwert der Veranstaltung unterstrichen haben. Ein weiterer Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bauhofs für die Vorbereitung der Veranstaltung vor Ort.
Für alle, die beim Volkstrauertag nicht dabei sein konnten, gibt es die Reden nochmals zum Nachlesen.
Rede von Susanna Tausendfreund, Erste Bürgermeisterin:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Fast immer sprachen wir beim Volkstrauertag über lang zurückliegende Kriegsereignisse und Erlebnisse, um die Auswirkungen von Krieg und Gewaltherrschaft deutlich zu machen: Im Gedenken an die vielen Opfer in unvorstellbaren Zahlen, die Zerstörung, die Not und das Elend. Heute begehen wir weiterhin diesen traditionellen Gedenktag, den es im Deutschen Reich bereits seit 1919 gab. In der Bundesrepublik erhielt er seit 1950 neue Formen, die sich seither auch immer wieder gewandelt haben. Der Volkstrauertag schien zunächst seine Bedeutung nur aus weit zurückliegenden Erfahrungen zu schöpfen.
Für manche war er in der bisherigen Form schon seit den 1980er-Jahren nicht mehr aktuell, die Themen der Friedensbewegung hätten gefehlt. Einigen erschien er sogar „von vorgestern“ zu sein. Jedenfalls wurde der Tag – je nach unterschiedlicher Auffassung und Ortskultur – wie ein Gottesdienst, wie eine Demonstration, wie ein Bürgertreffen, wie ein militärischer Aufmarsch oder – wie bei uns – als gemeinsames Nachdenken begangen.
Die Gemeinsamkeit ist das Bekenntnis für Frieden, Demokratie, Menschenwürde, Freiheit und die Erinnerung an die Zeiten und Umstände, in denen diese Werte nichts galten: Kriegs- oder Umbruchzeiten. Die Gemeinsamkeit ist das Bekenntnis: „Nie wieder!“ Und dieses Bekenntnis kann mit Blick auf die Vergangenheit geschehen. „Nie wieder“ muss jedoch dauerhaft für das Jetzt und für die Zukunft als Maxime für unsere Gesellschaft gelten.
Der Volkstrauertag muss neben dem Gedenken an zurückliegende Ereignisse auch immer dazu dienen, die aktuellen gesellschaftlichen Situationen zu beleuchten: Diskriminierung von Minderheiten, Antisemitismus, Ausgrenzung, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und die Kriege und Verfolgungen in der Welt. Allen Opfern wollen wir gedenken.
Die Tradition, die Gemeinsamkeiten und neue Ansätze gilt es in die aktuelle Zeit zu tragen. Eine Vorkriegszeit in unserem Land, eine Kriegszeit in unserem Nachbarland, der Ukraine. Lange hatten wir Frieden in Europa. Der Mauerfall vor 35 Jahren hat für Hoffnungen gesorgt. Die Zeit zuvor – der Ost-West-Konflikt seit dem Ende des 2. Weltkriegs – war bedrohlich. Viele befürchteten, dass die Abschreckungs- und Rüstungsspirale eskalieren könnte. Die Atomwaffenarsenale waren gefüllt. Sie sind es auch heute noch. Hiroshima und Nagasaki waren und sind Mahnungen. Diese Bedrohungssituation sollte ein für alle Mal ein Ende haben.
Aber nun müssen wir mit dem grausamen Krieg in der Mitte Europas umgehen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird seit fast 1.000 Tagen mit aller Härte geführt. Unglaublich viele Opfer sind zu beklagen. Gerade in der letzten Nacht hat das Putin-Regime eine der stärksten Offensiven gegen die Bevölkerung und die Infrastruktur der Ukraine umgesetzt. Dieser Krieg hat unerträgliches Leid zur Folge. Wir hoffen alle auf Frieden, der momentan nicht vorstellbar erscheint.
Gleichzeitig beunruhigt die kriegerische Auseinandersetzung im Nahen Osten die Welt und besonders auch uns Deutsche, die wir für die jüdische Bevölkerung Israels eine besondere Verantwortung tragen. Viele von uns stehen heute hier mit Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges, auch vor den wirtschaftlichen und materiellen Konsequenzen.
Manche von uns, ich denke an die ukrainischen Bürger*innen, die hierher geflohen sind, sind Betroffene des Krieges. Leid und Wut, Mitleid, Trauer, Sorge, Angst – all´ das hat seinen Raum an diesem Gedenktag, dafür ist er da. Es ist nicht nur der allgemeine Volkstrauertag, sondern auch der Tag für persönliches Gedenken und Mitfühlen. Ein wichtiger Tag für die Gemeinschaft und auch für die einzelnen Menschen in unserer Gemeinde. Wir spüren, dass sich auch bei uns, die wir nicht persönlich vom Krieg in der Ukraine betroffen sind, der Blick und die Haltung verändert. Den Menschen, deren Familien und Freunde direkt betroffen sind, müssen wir Kraft geben.
Hier eine Schilderung: „Wir führen zwei unterschiedliche Leben: Das eine Leben ist in der Ukraine und wartet auf einen nächtlichen Angriff von Drohnen und Raketen. Ukrainer gehen tagsüber zur Arbeit, die Kinder gehen zur Schule. Alarm. Angriff. Tod. Und in der Nacht hört man jedes Geräusch und wartet auf den schlimmen Angriff. Die Leute haben immer Angst. Meine Freunde, Kollegen, Bekannte, Verwandte – sie sind alle erschöpft, deprimiert und im Stress.
Ein anderes Leben ist für die Ukrainer in Deutschland. Wir wohnen in der Sicherheit, aber das Leben ist auf Pause gelegt, nichts bringt Spaß. Keine Lust auf irgendwas. Das Telefon ist immer griffbereit. Ich warte auf Neuigkeiten von Verwandten, Freunden, die in der Ukraine geblieben sind. Manche sind in ihren Häusern, manche sind Flüchtlinge im eigenen Land und manche stehen an der Front in den Schützengräben. Sie sind unter ständigem Beschuss. Ehefrauen und Ehemänner, Eltern und Kinder warten auf eine Nachricht von jemandem an der Front. Wenn ich im Messenger ein Pluszeichen erhalte, bedeutet dies, dass er, der Mann/der Sohn/der Bruder, lebt. Aber wir Ukrainer leben nicht mehr, wir existieren.“
Die Dauer des Kriegs, mittlerweile zwei Jahre und neun Monate, die Brutalität, die Auswirkungen auf die Bevölkerung, machen uns fassungslos. Wir werden weiterhin unterstützen, wo wir können und werden nicht aufhören, auf Frieden zu hoffen.
Rede von Heinrich Fischer, Vorsitzender der Soldatenkameradschaft Pullach:
Sehr verehrte Anwesende der Gedenkfeier zum Volkstrauertag 2024,
es ist mir eine Ehre, Ihnen heute zum zehnten Mal meine persönlichen Gedanken, meinen inständigen Friedensappell und meine historischen Rückblicke zu diesem Tag vorzutragen. So könnte ich z.B. in diesem Jahr 80 Jahre zurückblicken auf die blutigen Schlachten am Monte Cassino zwischen dem 17. Januar und dem 18. Mai 1944, auf den Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1944 oder auf die Landung der alliierten Truppen an der Küste der Normandie am 6. Juni 1944.
In den letzten elf Monaten des Zweiten Weltkrieges, also zwischen Juni 1944 und Mai 1945 starben mehr Menschen als in den fünf Jahren zuvor. Kulturgüter und Infrastruktur von unschätzbarem Wert fielen in Trümmer. Wie sagte einst einer der kommandierenden Befehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Dwight D. Eisenhower: „Der Krieg ist eine Sache, bei der sich Millionen Menschen, die sich nicht kennen, umbringen, auf Befehl einiger, die sich sehr gut kennen, aber nicht umbringen.“ Und ich fahre fort mit einem Zitat von Carl Friedrich von Weizäcker: „Wir haben keine hinreichende Aussicht, einen Krieg auszuhalten, ja nur zu überleben; wir sind darauf angewiesen, ihn zu verhindern.“
Könnten wir da nicht angesichts der heutigen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und kriegsähnlichen Krisen in Myanmar, Sudan, Haiti, Kongo, Jemen, Sahelzone – ich höre jetzt auf zu zählen – könnten wir da nicht an der Menschheit verzweifeln?
Ich blicke nochmals zurück – auf etwas, das in Pullach geschah: Am 20. Mai 1914, also vor 110 Jahren, haben sich zunächst elf Männer zusammengefunden, um den Veteranen- und Kriegerverein Pullach ins Leben zu rufen; unter ihnen ein Bahnhofsvorsteher, ein Bäcker, ein Schmied, ein Ingenieur ein Kaufmann, ein Wirt und auch der Bürgermeister. Das Attentat von Sarajewo war noch nicht geschehen, der Erste Weltkrieg war noch nicht ausgebrochen.
Diese Männer wollten – ich zitiere aus der damaligen Vereinssatzung –
„1. die Liebe und Treue zu König und Vaterland, zu Kaiser und Reich pflegen unter Fernhaltung von politischem Parteigetriebe;
2. den kameradschaftlichen Geist unter den Mitgliedern wachhalten und fördern, sofern es die Vereinsmittel gestatten;
3. die Mitglieder bei eingetretenen Unglücksfällen und unverschuldeten Notlagen unterstützen sowie den Hinterbliebenen der verstorbenen Mitglieder ein Sterbegeld gewähren;
4. ein würdiges Begräbnis der verstorbenen Mitglieder veranstalten.“
Bis Juli 1914 sind bereits 31 Mitglieder verzeichnet. Nur ein paar Wochen später mussten einige von ihnen in den Krieg ziehen. Die Namen derjenigen Pullacher, die nicht zurückgekehrt sind, stehen an der Wand im Inneren unserer Gedächtnisstätte.
Eintreten für das Land – Gott sei Dank haben wir heute eine funktionierende Demokratie – dem Nächsten helfen, Hinterbliebene unterstützen und der Toten in Würde gedenken – das ist auch heute noch Sinn und Zweck dieses Vereins. Das erst macht menschliches Miteinander aus und dies sollte eigentlich für alle gelten. „Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben“, so Wilhelm von Humboldt.
Nur ein Jahr nach ihrem Zusammenschluss haben die Kameraden von damals unter großen finanziellen Anstrengungen eine Fahne anfertigen lassen. Auf der Vorderseite ist das Bayerische Wappen in der damaligen Fassung zu sehen. Das Motiv auf der Rückseite stellt das sogenannte“ Kreuz von Sarrebourg“ dar. Es erinnert an die erste grausame Schlacht des Ersten Weltkrieges ab dem 18. August 1914 in Lothringen mit Tausenden von Verwundeten und Gefallenen auf beiden Seiten.
Unsere Fahne wurde bei Fronleichnamsprozessionen und Volkstrauertagen getragen, sie war bei Vereinsjubiläen und Festumzügen in Gebrauch und sie begleitete jeden verstorbenen Kameraden bis zu seinem Grab. Der Zahn der Zeit hat inzwischen sehr stark an ihr genagt –- über zwei Weltkriege hinweg, aber auch über eine nun schon fast 80 Jahre andauernde Friedensperiode. Wir werden sie mit dem heutigen Tag außer Dienst stellen und sie als historisches Artefakt der Nachwelt erhalten.
Nicht nur die Namen der Gefallenen sind an diesem Ort hier verzeichnet, sondern auch deren Geburts- und Todesdaten. Daraus ergibt sich ein Durchschnittsalter von 25 Jahren. Wir haben daher nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Pflicht, das Gedenken an die Kriegstoten an die jüngere Generation weiterzureichen. Dazu müssen wir sie miteinbeziehen und da dürfen auch Fragen erlaubt sein, wie:
Wer steht künftig hier an dieser Gedächtnisstätte? Hat der Volkstrauertag noch die richtige Form? Sollte er anders heißen? Muss es der November sein? Ist nationales Gedenken an diesem Tag noch zeitgemäß?
Wir gedenken heute, anlässlich des 110-jährigen Bestehens der Soldaten-kameradschaft Pullach, aller 275 verstorbenen Mitglieder. Seit Wiedergründung des Vereins im Jahre 1955 halten wir ihre Namen auf unseren Trauerbändern fest.
Wir denken aber auch heute an diesem Volkstrauertag an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren. Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind. Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land. Wir trauern insbesondere um die Opfer der russischen Aggression in der Ukraine und um die Opfer des Krieges im Nahen Osten. Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.
Mit Rücksicht auf die Menschen, die bei uns in diesem Moment, sei es in der Ukraine, in Israel, im Gazastreifen, im Libanon oder wo auch immer, Opfer eines Krieges werden, wollen wir ohne den Knall eines Gedenksaluts der Toten gedenken.
Zum Gedenken senkt die Fahnen!