Dialog zwischen Erster Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund und dem IEP-Aufsichtsratsvorsitzendem Dr. Andreas Most zu Beginn der Podiumsdiskussion beim Festakt zu “15 Jahre Geothermie Pullach” am 21. November im Pullacher Bürgerhaus.
Andreas Most: Liebe Susanna, Frau Bürgermeisterin, welche Erinnerungen verbindest du mit dem 4. Dezember 2004?
Susanna Tausendfreund: An diesen Termin würde ich mich auch ohne den heutigen Anlass erinnern. Es war der Barbaratag, der Gedenktag an die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute. Und wir feierten passenderweise den Start der ersten Bohrung unseres Geothermieprojekts. Als Gemeinderätin war ich natürlich – neben vielen anderen – bei diesem festlichen Ereignis dabei.
Andreas Most: In wenigen Tagen feiern wir also den Bohrstart vor 15 Jahren. Du hast die Geschichte der Pullacher Geothermie als Kommunalpolitikerin von Anfang an hautnah miterlebt. Wie lautet deine Zwischenbilanz?
Susanna Tausendfreund: Die Geothermie Pullach gilt zurecht als Pionierprojekt. Zuerst konnten mit den erfolgreichen Bohrungen neben dem Gymnasium sämtliche Liegenschaften der Gemeinde und der Wohnungsbaugesellschaft angeschlossen werden. Aber auch die private Nachfrage war so hoch, dass wir uns in 2010 zur Vergrößerung der Anlage entschlossen haben – seit 2013 sind nun zwei Förderbohrungen und eine Reinjektionsbohrung in Betrieb.
Mehr als die Hälfte des Pullacher Wärmebedarfs wird heute aus nachhaltiger Erdwärme – die IEP nennt es Wohlfühlwärme aus der Tiefe – versorgt. Das Fernwärmenetz beträgt heute rund 49 Kilometer. Die Kirchen, die Tagesheimschulen der Erzdiözese, das Kloster St. Gabriel, unsere Unternehmen Linde, Sixt, LHI, DJE und seit zwei Monaten auch der Tennis Club Großhesselohe mit seinen großen Traglufthallen für den Winterbetrieb sind am Netz und verringern die CO2-Bilanz jedes Pullachers und jeder Pullacherin um fast 2 Tonnen CO2 pro Jahr. Die Versorgung Pullachs mit Geothermie ist essentieller Teil einer modernen Daseinsvorsorge. Sie ist Standortvorteil und Zukunftsvorsorge, sie ist saubere Luft und Umweltschutz, sie ist unser Rohstoff, sie ist lokale Wertschöpfung, bei der die Scheichs und totalitäre Regime kein Geld verdienen können.
Und: …es rechnet sich. Die IEP steht wirtschaftlich bereits auf eigenen Beinen.
Andreas Most: Stimmt, wir haben viel haben wir erreicht, aber die Entwicklung dieses größten Infrastrukturprojekts ist noch nicht am Ende. Gemeinsam mit den Stadtwerken München und der Erdwärme Grünwald haben wir im Frühjahr 2018 eine Seismik-Kampagne durchgeführt, also den Boden im Süden Pullachs auf Thermalwasservorkommen untersucht. Warum haben wir das gemacht? Weil wir nicht nur 94 Prozent der Wärme, sondern 100 Prozent der in Pullach benötigten Wärme aus der Geothermie schöpfen möchten und uns von fossilem und langfristig teuren Öl ganz verabschieden wollen. Die Ergebnisse der Seismik-Kampagne sind ermutigend. Sie sind so gut, dass nicht nur Pullach sich vollständig absichern kann, sie sind so gut, dass auch ganze Stadtviertel unseres Nachbarn München beheizt werden können.
Deshalb planen IEP und SWM nun eine gemeinsame Erschließung der Thermalwasservorkommen südlich von Pullach, was eine ganze Reihe von Synergieeffekten mit sich bringt. Der Gemeinderat hat diesem Zukunftsprojekt im Oktober zugestimmt. Ein Dankeschön an dieser Stelle für das Vertrauen!
Susanna Tausendfreund: Ja, heute ist der richtige Zeitpunkt, dieses gemeinsame Projekt öffentlich bekannt zu geben. In der Tat sprach sich der Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung für ein gemeinschaftliches Projekt mit den Stadtwerken München, mit der SWM, aus. Die wesentlichen Dinge sind nun verhandelt, Details werden in den kommenden Monaten geklärt. Wir stehen buchstäblich über dem Bodenschatz Thermalwasser und ich empfinde es als unsere Pflicht, diesen „Schatz“ mit den Mitteln zu heben, über die wir verfügen.
Wichtig ist – du hast es aufgezählt – vor allem aber die langfristige Absicherung unserer Energieversorgung im Gemeindegebiet. Der Beschluss bedeutet die konsequente Weiterentwicklung des Pullacher Energie-Konsenses zwischen der politischen Gemeinde und den Bürgerinnen und Bürgern.
Andreas Most: Dieser Konsens macht das Arbeiten für das IEP Team erheblich leichter und bringt Ergebnisse wie diese: „2019 konnten wieder 50 Gebäude ans Geothermie-Fernwärmenetz angeschlossen werden. 100 Prozent der Neubauten haben sich für diese Form der Energieversorgung entschieden, und in den nächsten 6 Jahren kann der Netzausbau in Pullach abgeschlossen werden.“ Was ich auf das Potential der Tiefengeothermie gesehen vermisse, ist die Unterstützung seitens der „großen Politik“.
Susanna Tausendfreund: Die meisten denken bei Energiewende an Strom aus erneuerbaren Quellen. Über 50 % der Primärenergie wird in Deutschland jedoch für Wärme aufgewendet. Bei Strom kommen schon heute 40 Prozent aus erneuerbaren Quellen, bei Wärme sind es nur knapp 12 Prozent bei leider gleichbleibend niedriger Tendenz. Die Energiewende müsste endlich auch eine Wärmewende werden!
Die Geothermie ist in puncto Wärme sowohl im Vergleich zu fossilen als auch anderen regenerativen Energien die mit Abstand umweltfreundlichste Form der Energiegewinnung.
Um sie in die Breite und in bestehende Fernwärmenetze zu bringen, braucht es eine Änderung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Diese führen bislang noch zur Ungleichbehandlung regenerativer Wärme gegenüber regenerativem Strom.
Andreas Most: Wie könnte die Wärmewende denn konkret aussehen, welche Maßnahmen müsste die Politik ergreifen?
Susanna Tausendfreund: Da fällt mir vieles ein. Zum Beispiel flächendeckende Seismik mit Beteiligung der öffentlichen Hand. Aber auch eine Fündigkeits-Absicherung wegen der Bohrrisiken (z.B. eine Fondslösung) oder eine staatliche Förderung für effiziente Anlagen auf Kundenseite. Ich denke da etwa an Austauschprämien nicht nur für Ölfeuerung, sondern auch für Gaskessel oder Förderungen für die Senkung der Rücklauftemperatur. Nicht zuletzt: Warum nicht die Vernetzung von Fernwärmenetzen zur gegenseitigen Absicherung fördern? Denn das eigentlich Teure bei der Fernwärmeversorgung nicht nicht die Bohrungen, sondern die Netze.
Andreas Most: Wünschenswert wäre, wenn die Geothermie aus der Nische in die Fläche kommt. Die Geothermiebetreiber IEP, SWM, Grünwald und Unterhaching haben es Staatsministerin Ilse Aiwanger vorgerechnet: Mit Investitionen von 22 Milliarden Euro in die Tiefengeothermie könnte alleine Bayern innerhalb von 10 Jahren jährlich 1,5 Millarden Euro an Gasimporten einsparen. Das sind 100 große Geothermieanlagen in Bayern.
Susanna Tausendfreund: Genau, deshalb sind alle Betreiber und die Politik aufgerufen, die zahlreichen Vorteile der Geothermie noch viel deutlicher zu machen:
- die mit Abstand niedrigsten Emissionen an CO2, NOX, Feinstaub
- einen sehr geringen Flächenverbrauch
- die unerschöpfliche Leistung
- die heimische Erzeugung (Geothermie verringert die Abhängigkeit vom Ausland; Mittelabfluss für Energieträger > 70 Mrd. Euro/Jahr für ganz Deutschland)
die Sicherung von 20.000 Arbeitsplätzen in Deutschland
Andreas Most: Genau richtig. Deshalb gibt es innerhalb der bayerischen Geothermie auch einen regen Austausch und gemeinsame Aktivitäten zur Verbesserung und Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit. Die Geothermie könnte zumindest im Wärmebereich eine tragende Rolle spielen, denn sie ist – anders als es oft geschrieben wird – praktisch überall nutzbar. Sinnvolle Anwendungen für Geothermie gibt es nämlich im Temperaturbereich von 30 bis 150 Grad – also längst nicht nur mit 104 Grad, wie sie in Pullach vorliegen.
Die Holländer sind uns hier im Übrigen weit voraus: weil ihre Erdgasvorräte zur Neige gehen und die Gewächshäuser Tag und Nacht, Sommer wie Winter beheizt werden müssen. Der staatliche Masterplan Geothermie sieht für die Niederlande 750 geothermische Dubletten vor.
Nicht zuletzt: Unser großer Nachbar München arbeitet ganz intensiv an der Vision, den Bedarf an Fernwärme bis 2040 CO2-neutral zu decken. Größtenteils soll das durch Wärme aus Tiefengeothermie erreicht werden.
Susanna Tausendfreund: Das Stichwort München leitet direkt über auf die SWM. An dieser Stelle begrüße ich deshalb Helge-Uve Braun, den Technischen Geschäftsführer der SWM und Diplomingeneur für Kraftwerkstechnik und darf ihm das Wort geben.
Vielen Dank bis hierhin für Ihre Aufmerksamkeit.
21. November 2019